Immanuel Kant
Idee zu einer allgemeinen Geschichte in
weltbürgerlicher Absicht[i]
«Berlinische Monatsschrift», November 1784, S. 385-411.

Was man sich auch in metaphysischer Absicht für einen Begriff von der
Freiheit des Willes machen mag: so sind doch die Erscheinungen
desselben, die menschlichen Handlungen, eben so wohl als jede andere
Naturbegebenheit nach allgemeinen Naturgesetzen bestimmt. Die Geschichte,
welche sich mit der Erzählung dieser Erscheinungen beschäftigt, so tief
auch deren Ursachen verborgen sein mögen, läßt dennoch von sich hoffen:
daß, wenn sie das Spiel der Freiheit des menschlichen Willens im Großen
betrachtet, sie einen regelmäßigen Gang derselben entdecken könne; und daß
auf die Art, was an einzelnen Subjecten verwickelt und regellos in die
Augen fällt, an der ganzen Gattung doch als eine stetig fortgehende,
obgleich langsame Entwickelung der ursprünglichen Anlagen derselben werde
erkannnt werden können. So scheinen die Ehen, die daher kommenden Geburten
und das Sterben, da der freie Wille des Menschen auf sie so großen Einfluß
hat, keiner Regel unterworfen zu sein, nach welcher man die Zahl derselben
zum voraus durch Rechnung bestimmen könne; und doch beweisen die
jährlichen Tafeln derselben in großen Ländern, daß sie eben so wohl nach
beständigen Naturgesetzen geschehen, als die so unbeständigen Witterungen,
deren Eräugnis man einzeln nicht vorher bestimmen kann, die aber im Ganzen
nicht ermangeln den Wachstum der Pflanzen, den Lauf der Ströme und andere
Naturanstalten in einem gleichförmigen, ununterbrochenen Gange zu
erhalten. Einzelne Menschen und selbst ganze Völker denken wenig daran,
daß, indem sie, ein jedes nach seinem Sinne, und einer oft wider den
anderen, ihre eigene Absicht verfolgen, sie unbemerkt an der Naturabsicht,
die ihnen selbst unbekannt ist, als an einem Leitfaden fortgehen und an
derselben Beförderung arbeiten, an welcher, selbst wenn sie ihnen bekannt
würde, ihnen doch wenig gelegen sein würde.
Da die Menschen in ihren Bestrebungen nicht bloß instinctmäßig wie Thiere
und doch auch nicht wie vernünftige Weltbürger nach einem verabredeten
Plane im Ganzen verfahren: so scheint auch keine planmäßige Geschichte
(wie etwa von den Bienen oder den Bibern) von ihnen möglich zu sein. Man
kann sich eines gewissen Unwillens nicht erwehren, wenn man ihr Thun und
Lassen auf der großen Weltbühne aufgestellt sieht und bei hin und wieder
anscheinender Weisheit im Einzelnen doch endlich alles im Großen aus
Thorheit, kindischer Eitelkeit, oft auch aus kindischer Bosheit und
Zerstörungssucht zusammengewebt findet: wobei man am Ende nicht weiß, was
man sich von unserer auf ihre Vorzüge so eingebildeten Gattung für einen
Begriff machen soll. Es ist hier keine Auskunft für den Philosophen, als
daß, da er bei Menschen und ihrem Spiele im Großen gar keine vernünftige
eigene Absicht voraussetzen kann, er versuche, ob er nicht eine
Naturabsicht in diesem widersinnigen Gange menschlicher Dinge
entdecken könne; aus welcher von Geschöpfen, die ohne eigenen Plan
verfahren, dennoch eine Geschichte nach einem bestimmten Plane der Natur
möglich sei. - Wir wollen sehen, ob es uns gelingen werde, einen Leitfaden
zu einer solchen Geschichte zu finden, und wollen es dann der Natur
überlassen, den Mann hervorzubringen, der im Stande ist, sie danach
abzufassen. So brachte sie einen Kepler hervor, der die
eccentrischen Bahnen der Planeten auf eine unerwartete Weise bestimmten
Gesetzen unterwarf, und einen Newton, der diese Gesetze aus einer
allgemeinen Naturursache erklärte.
Erster Satz.
Alle Naturanlagen eines Geschöpfes sind bestimmt, sich einmal
vollständig und zweckmäßig auszuwickeln. Bei allen Thieren bestätigt
dieses die äußere sowohl, als innere oder zergliedernde Beobachtung. Ein
Organ, das nicht gebraucht werden soll, eine Anordnung, die ihren Zweck
nicht erreicht, ist ein Widerspruch in der teleologischen Naturlehre. Denn
wenn wir von jenem Grundsatze abgehen, so haben wir nicht mehr eine
gesetzmäßige, sondern eine zwecklos spielende Natur; und das trostlose
Ungefähr tritt an die Stelle des Leitfadens der Vernunft.
Zweiter Satz.
Am Menschen (als dem einzigen vernünftigen Geschöpf auf Erden)
sollten sich diejenigen Naturanlagen, die auf den Gebrauch seiner Vernunft
abgezielt sind, nur in der Gattung, nicht aber im Individuum vollständig
entwickeln. Die Vernunft in einem Geschöpfe ist ein Vermögen, die
Regeln und Absichten des Gebrauchs aller seiner Kräfte weit über den
Naturinstinct zu erweitern, und kennt keine Grenzen ihrer Entwürfe. Sie
wirkt aber selbst nicht instinctmäßig, sondern bedarf Versuche, Übung und
Unterricht, um von einer Stufe der Einsicht zur andern allmählig
fortzuschreiten. Daher würde ein jeder Mensch unmäßig lange leben müssen,
um zu lernen, wie er von allen seinen Naturanlagen einen vollständigen
Gebrauch machen solle; oder wenn die Natur seine Lebensfrist nur kurz
angesetzt hat (wie es wirklich geschehen ist), so bedarf sie einer
vielleicht unabsehlichen Reihe von Zeugungen, deren eine der andern ihre
Aufklärung überliefert, um endlich ihre Keime in unserer Gattung zu
derjenigen Stufe der Entwicklung zu treiben, welche ihrer Absicht
vollständig angemessen ist. Und dieser Zeitpunkt muß wenigstens in der
Idee des Menschen das Ziel seiner Bestrebungen sein, weil sonst die
Naturanlagen größtentheils als vergeblich und zwecklos angesehen werden
müßten; welches alle praktischen Prinzipien aufheben und dadurch die
Natur, deren Weisheit in Beurteilung aller übrigen Anstalten sonst zum
Grundsatze dienen muß, am Menschen allein eines kindischen Spiels
verdächtig machen würde.
Dritter Satz.
Die Natur hat gewollt: daß der Mensch alles, was über die mechanische
Anordnung seines thierischen Daseins geht, gänzlich aus sich selbst
herausbringe und keiner anderen Glückseligkeit oder Vollkommenheit
theilhaftig werde, als die er sich selbst frei von Instinct, durch eigene
Vernunft, verschafft hat. Die Natur thut nämlich nichts überflüssig
und ist im Gebrauche der Mittel zu ihren Zwecken nicht verschwenderisch.
Da sie dem Menschen Vernunft und darauf sich gründende Freiheit des
Willens gab, so war das schon eine klare Anzeige ihrer Absicht in Ansehung
seiner Ausstattung. Er sollte nämlich nun nicht durch Instinct geleitet,
oder durch anerschaffene Kenntniß versorgt und unterrichtet sein; er
sollte vielmehr alles aus sich selbst herausbringen. Die Erfindung seiner
Nahrungsmittel, seiner Bedeckung, seiner äußeren Sicherheit und
Verteidigung (wozu sie ihm weder die Hörner des Stiers, noch die Klauen
des Löwen, noch das Gebiß des Hundes, sondern bloß Hände gab), alle
Ergötzlichkeit, die das Leben angenehm machen kann, selbst seine Einsicht
und Klugheit und sogar die Gutartigkeit seines Willens sollten gänzlich
sein eigen Werk sein. Sie scheint sich hier in ihrer größten Sparsamkeit
selbst gefallen zu haben und ihre thierische Ausstattung so knapp, so
genau auf das höchste Bedürfniß einer anfänglichen Existenz abgemessen zu
haben, als wollte sie: der Mensch sollte, wenn er sich aus der größten
Rohigkeit dereinst zur größten Geschicklichkeit, innerer Vollkommenheit
der Denkungsart und (so viel auf Erden möglich ist) dadurch zur
Glückseligkeit empor gearbeitet haben würde, hievon das Verdienst ganz
allein haben und es sich selbst nur verdanken dürfen; gleich als habe sie
es mehr auf seine vernünftige Selbstschätzung, als auf ein
Wohlbefinden angelegt. Denn in diesem Gange der menschlichen Angelegenheit
ist ein ganzes Heer von Mühseligkeiten, die den Menschen erwarten. Es
scheint aber der Natur darum gar nicht zu thun gewesen zu sein, daß er
wohl lebe; sondern daß er sich so weit hervorarbeite, um sich durch sein
Verhalten des Lebens und des Wohlbefindens würdig zu machen. Befremdend
bleibt es immer hiebei: daß die ältern Generationen nur scheinen um der
späteren willen ihr mühseliges Geschäft zu treiben, um nämlich diesen eine
Stufe zu bereiten, von der diese das Bauwerk, welches die Natur zur
Absicht hat, höher bringen könnten; und daß doch nur die spätesten das
Glück haben sollen, in dem Gebäude zu wohnen, woran eine lange Reihe ihrer
Vorfahren (zwar freilich ohne ihre Absicht) gearbeitet hatten, ohne doch
selbst an dem Glück, das sie vorbereiteten, Anteil nehmen zu können.
Allein so räthselhaft dieses auch ist, so nothwendig ist es doch zugleich,
wenn man einmal annimmt: eine Thiergattung soll Vernunft haben und als
Klasse vernünftiger Wesen, die insgesamt sterben, deren Gattung aber
unsterblich ist, dennoch zu einer Vollständigkeit der Entwickelung ihrer
Anlagen gelangen.
Vierter Satz.
Das Mittel, dessen sich die Natur bedient, die Entwickelung aller ihrer
Anlagen zu Stande zu bringen, ist der Antagonism derselben in der
Gesellschaft, so fern dieser doch am Ende die Ursache einer gesetzmäßigen
Ordnung derselben wird. Ich verstehe hier unter dem Antagonism die
ungesellige Geselligkeit des Menschen, d.i. den Hang derselben in
Gesellschaft zu treten, der doch mit einem durchgängigen Widerstande,
welcher diese Gesellschaft beständig zu trennen droht, verbunden ist.
Hiezu liegt die Anlage offenbar in der menschlichen Natur. Der Mensch hat
eine Neigung sich zu vergesellschaften: weil er in einem solchen
Zustande sich mehr als Mensch, d.i. die Entwicklung seiner Naturanlagen,
fühlt. Er hat aber auch einen großen Hang sich zu vereinzelnen
(isolieren): weil er in sich zugleich die ungesellige Eigenschaft
antrifft, alles bloß nach seinem Sinne richten zu wollen, und daher
allerwärts Widerstand erwartet, so wie er von sich selbst weiß, daß er
seinerseits zum Widerstande gegen andere geneigt ist. Dieser Widerstand
ist es nun, welcher alle Kräfte des Menschen erweckt, ihn dahin bringt
seinen Hang zur Faulheit zu überwinden und, getrieben durch Ehrsucht,
Herrschsucht oder Habsucht, sich einen Rang unter seinen Mitgenossen zu
verschaffen, die er nicht wohl leiden, von denen er aber auch nicht
lassen kann. Da geschehen nun die ersten wahren Schritte aus der
Rohigkeit zur Kultur, die eigentlich in dem gesellschaftlichen Werth des
Menschen besteht; da werden alle Talente nach und nach entwickelt, der
Geschmack gebildet und selbst durch fortgesetzte Aufklärung der Anfang zur
Gründung einer Denkungsart gemacht, welche die grobe Naturanlage zur
sittlichen Unterscheidung mit der Zeit in bestimmte praktische Principien
und so eine pathologisch-abgedrungene Zusammenstimmung zu einer
Gesellschaft endlich in ein moralisches Ganze verwandeln kann. Ohne
jene an sich zwar eben nicht liebenswürdige Eigenschaften der
Ungeselligkeit, woraus der Widerstand entspringt, den jeder bei seinen
selbstsüchtigen Anmaßungen notwendig antreffen muß, würden in einem
arkadischen Schäferleben bei vollkommener Eintracht, Genügsamkeit und
Wechselliebe alle Talente auf ewig in ihren Keimen verborgen bleiben: die
Menschen, gutartig wie die Schafe, die sie weiden, würden ihrem Dasein
kaum einen größeren Werth verschaffen, als dieses ihr Hausvieh hat; sie
würden das Leere der Schöpfung in Ansehung ihres Zwecks, als vernünftige
Natur, nicht ausfüllen. Dank sei also der Natur für die Unvertragsamkeit,
für die mißgünstig wetteifernde Eitelkeit, für die nicht zu befriedigende
Begierde zum Haben oder auch zum Herrschen! Ohne sie würden alle
vortreffliche Naturanlagen in der Menschheit ewig unentwickelt schlummern.
Der Mensch will Eintracht; aber die Natur weiß besser, was für seine
Gattung gut ist: sie will Zwietracht. Er will gemächlich und vergnügt
leben; die Natur will aber, er soll aus der Lässigkeit und untätigen
Genügsamkeit hinaus sich in Arbeit und Mühseligkeiten stürzen, um dagegen
auch Mittel auszufinden, sich klüglich wiederum aus den letztern heraus zu
ziehen. Die natürlichen Triebfedern dazu, die Quellen der Ungeselligkeit
und des durchgängigen Widerstandes, woraus so viele Übel entsprangen, die
aber doch auch wieder zur neuen Anspannung der Kräfte, mithin zu mehrerer
Entwickelung der Naturanlagen antreiben, verrathen also wohl die Anordnung
eines weisen Schöpfers; und nicht etwa die Hand eines bösartigen Geistes,
der in seine herrliche Anstalt gepfuscht oder sie neidischer Weise
verderbt habe.
Fünfter Satz.
Das größte Problem für die Menschengattung, zu dessen Auflösung die
Natur ihn zwingt, ist die Erreichung einer allgemein das Recht
verwaltenden bürgerlichen Gesellschaft. Da nur in der
Gesellschaft und zwar derjenigen, die die größte Freiheit, mithin einen
durchgängigen Antagonism ihrer Glieder und doch die genauste Bestimmung
und Sicherung der Grenzen dieser Freiheit hat, damit sie mit der Freiheit
anderer bestehen könne, - da nur in ihr die höchste Absicht der Natur,
nämlich die Entwickelung aller ihrer Anlagen, in der Menschheit erreicht
werden kann, die Natur auch will, daß sie diesen so wie alle Zwecke ihrer
Bestimmung sich selbst verschaffen solle: so muß eine Gesellschaft, in
welcher Freiheit unter äußeren Gesetzen im größtmöglichen Grade mit
unwiderstehlicher Gewalt verbunden angetroffen wird, d.i. eine vollkommen
gerechte bürgerliche Verfassung, die höchste Aufgabe der Natur für
die Menschengattung sein, weil die Natur nur vermittelst der Auflösung und
Vollziehung derselben ihre übrigen Absichten mit unserer Gattung erreichen
kann. In diesen Zustand des Zwanges zu treten, zwingt den sonst für
ungebundene Freiheit so sehr eingenommenen Menschen die Not; und zwar die
größte unter allen, nämlich die, welche sich Menschen unter einander
selbst zufügen, deren Neigungen es machen, daß sie in wilder Freiheit
nicht lange neben einander bestehen können. Allein in einem solchen
Gehege, als bürgerliche Vereinigung ist, thun eben dieselben Neigungen
hernach die beste Wirkung: so wie Bäume in einem Walde eben dadurch, daß
ein jeder dem andern Luft und Sonne zu benehmen sucht, einander nöthigen
beides über sich zu suchen und dadurch einen schönen geraden Wuchs
bekommen; statt daß die, welche in Freiheit und von einander abgesondert
ihre Äste nach Wohlgefallen treiben, krüppelig, schief und krumm wachsen.
Alle Cultur und Kunst, welche die Menschheit ziert, die schönste
gesellschaftliche Ordnung sind Früchte der Ungeselligkeit, die durch sich
selbst genötigt wird sich zu disciplinieren und so durch abgedrungene
Kunst die Keime der Natur vollständig zu entwickeln.
Sechster Satz.
Dieses Problem ist zugleich das schwerste und das, welches von der
Menschengattung am spätesten aufgelöset wird. Die Schwierigkeit,
welche auch die bloße Idee dieser Aufgabe schon vor Augen legt, ist diese:
der Mensch ist ein Tier, das, wenn es unter andern seiner Gattung
lebt, einen Herrn nöthig hat. Denn er mißbraucht gewiß seine
Freiheit in Ansehung anderer Seinesgleichen; und ob er gleich als
vernünftiges Geschöpf ein Gesetz wünscht, welches der Freiheit Aller
Schranken setze: so verleitet ihn doch seine selbstsüchtige thierische
Neigung, wo er darf, sich selbst auszunehmen. Er bedarf also einen
Herrn, der ihm den eigenen Willen breche und ihn nötige, einem
allgemeingültigen Willen, dabei jeder frei sein kann, zu gehorchen. Wo
nimmt er aber diesen Herrn her? Nirgend anders als aus der
Menschengattung. Aber dieser ist eben so wohl ein Thier, das einen Herrn
nöthig hat. Er mag es also anfangen, wie er will; so ist nicht abzusehen,
wie er sich ein Oberhaupt der öffentlichen Gerechtigkeit verschaffen
könne, das selbst gerecht sei; er mag dieses nun in einer einzelnen
Person, oder in einer Gesellschaft vieler dazu auserlesener Personen
suchen. Denn jeder derselben wird immer seine Freiheit mißbrauchen, wenn
er keinen über sich hat, der nach den Gesetzen über ihn Gewalt ausübt. Das
höchste Oberhaupt soll aber gerecht für sich selbst und doch ein
Mensch sein. Dise Aufgabe ist daher die schwerste unter allen; ja ihre
vollkommene Auflösung ist unmöglich; aus so krummem Holze, als woraus der
Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden. Nur die
Annäherung zu dieser Idee ist uns von der Natur auferlegt[ii].
Daß sie auch diejenige sei, welche am spätesten ins Werk gerichtet wird,
folgt überdem auch daraus: daß hiezu richtige Begriffe von der Natur einer
möglichen Verfassung, große durch viel Weltläufe geübte Erfahrenheit und
über alles ein zur Annehmung derselben vorbereiteter guter Wille erfordert
wird; drei solche Stücke aber sich sehr schwer und, wenn es geschieht, nur
sehr spät, nach viel vergeblichen Versuchen, einmal zusammen finden
können.
Siebenter Satz.
Das Problem der Errichtung einer vollkommnen bürgerlichen Verfassung
ist von dem Problem eines gesetzmäßigen äußeren Staatsverhältnisses
abhängig und kann ohne das letztere nicht aufgelöst werden. Was
hilfts, an einer gesetzmäßigen bürgerlichen Verfassung unter einzelnen
Menschen, d.i. an der Anordnung eines gemeinen Wesens, zu arbeiten?
Dieselbe Ungeselligkeit, welche die Menschen hiezu nöthigte, ist wieder
die Ursache, daß ein jedes gemeine Wesen in äußerem Verhältnisse, d.i. als
ein Staat in Beziehung auf Staaten, in ungebundener Freiheit steht, und
folglich einer von dem andern eben die Übel erwarten muß, die die
einzelnen Menschen drückten und sie zwangen in einen gesetzmäßigen
bürgerlichen Zustand zu treten. Die Natur hat also die Unvertragsamkeit
der Menschen, selbst der großen Gesellschaften und Staatskörper dieser Art
Geschöpfe wieder zu einem Mittel gebraucht, um in dem unvermeidlichen
Antagonism derselben einen Zustand der Ruhe und Sicherheit
auszufinden; d.i. sie treibt durch die Kriege, durch die überspannte und
niemals nachlassende Zurüstung zu denselben, durch die Noth, die dadurch
endlich ein jeder Staat selbst mitten im Frieden innerlich fühlen muß, zu
anfänglich unvollkommenen Versuchen, endlich aber nach vielen
Verwüstungen, Umkippungen und selbst durchgängiger innerer Erschöpfung
ihrer Kräfte zu dem, was ihnen die Vernunft auch ohne so viel traurige
Erfahrung hätte sagen können, nämlich: aus dem gesetzlosen Zustande der
Wilden hinaus zu gehen und in einen Völkerbund zu treten; wo jeder, auch
der kleinste Staat seine Sicherheit und Rechte nicht von eigener Macht,
oder eigener rechtlichen Beurteilung, sondern allein von diesem großen
Völkerbunde (Foedus Amphictyonum), von einer vereinigten Macht und von der
Entscheidung nach Gesetzen des vereinigten Willens erwarten könnte. So
schwärmerisch diese Idee auch zu sein scheint und als eine solche an einem
Abbé von St. Pierre oder Rousseau verlacht worden
(vielleicht, weil sie solche in der Ausführung zu nahe glaubten): so ist
es doch der unvermeidliche Ausgang der Noth, worein sich Menschen einander
versetzen, die die Staaten zu eben der Entschließung (so schwer es ihnen
auch eingeht) zwingen muß, wozu der wilde Mensch eben so ungern gezwungen
ward, nämlich: seine brutale Freiheit aufzugeben und in einer
gesetzmäßigen Verfassung Ruhe und Sicherheit zu suchen. - Alle Kriege sind
demnach so viel Versuche (zwar nicht in der Absicht der Menschen, aber
doch in der Absicht der Natur), neue Verhältnisse der Staaten zu Stande zu
bringen und durch Zerstörung, wenigstens Zerstückelung aller neue Körper
zu bilden, die sich aber wieder entweder in sich selbst oder neben
einander nicht erhalten können und daher neue, ähnliche Revolutionen
erleiden müssen; bis endlich einmal theils durch die bestmögliche
Anordnung der bürgerlichen Verfassung innerlich, theils durch eine
gemeinschaftliche Verabredung und Gesetzgebung äußerlich ein Zustand
errichtet wird, der, einem bürgerlichen gemeinen Wesen ähnlich, so wie ein
Automat sich selbst erhalten kann.
Ob man es nun von einem epikurischen Zusammenlauf wirkender
Ursachen erwarten solle, daß die Staaten, so wie die kleinen Stäubchen der
Materie durch ihren ungefähren Zusammenstoß allerlei Bildungen versuchen,
die durch neuen Anstoß wieder zerstört werden, bis endlich einmal von
ungefähr eine solche Bildung gelingt, die sich in ihrer Form erhalten
kann (ein Glückszufall, der sich wohl schwerlich jemals zutragen wird!);
oder ob man vielmehr annehmen solle, die Natur verfolge hier einen
regelmäßigen Gang, unsere Gattung von der unteren Stufe der Thierheit an
allmählig bis zur höchsten Stufe der Menschheit und zwar durch eigene,
obzwar dem Menschen abgedrungene Kunst zu führen, und entwickele in dieser
scheinbarlich wilden Anordnung ganz regelmäßig jene ursprünglichen
Anlagen; oder ob man lieber will, daß aus allen diesen Wirkungen und
Gegenwirkungen der Menschen im Großen überall nichts, wenigstens nichts
Kluges herauskomme, daß es bleiben werde, wie es von jeher gewesen ist,
und man daher nicht voraus sagen könne, ob nicht die Zwietracht, die
unserer Gattung so natürlich ist, am Ende für uns eine Hölle von Übeln in
einem noch so gesitteten Zustande vorbereitete, indem sie vielleicht
diesen Zustand selbst und alle bisherigen Fortschritte in der Cultur durch
barbarische Verwüstung wieder vernichten werde (ein Schicksal, wofür man
unter der Regierung der blinden Ungefährs nicht stehen kann, mit welcher
gesetzlose Freiheit in der That einerlei ist, wenn man ihr nicht einen
insgeheim an Weisheit geknüpften Leitfaden der Natur unterlegt!), das
läuft ungefähr auf die Frage hinaus: ob es wohl vernünftig sei,
Zweckmäßigkeit der Naturanstalt in Teilen und doch Zwecklosigkeit
im Ganzen anzunehmen. Was also der zwecklose Zustand der Wilden that, daß
er nämlich alle Naturanlagen in unserer Gattung zurück hielt, aber endlich
durch die Übel, worin er diese versetzte, sie nöthigte, aus diesen
Zustande hinaus und in eine bürgerliche Verfassung zu treten, in welcher
alle jene Keime entwickelt werden können, das thut auch die barbarische
Freiheit der schon gestifteten Staaten, nämlich: daß durch die Verwendung
aller Kräfte der gemeinen Wesen auf Rüstungen gegen einander, durch die
Verwüstungen, die der Krieg anrichtet, noch mehr aber durch die
Notwendigkeit sich beständig in Bereitschaft dazu zu erhalten zwar die
völlige Entwicklung der Naturanlagen in ihrem Fortgange gehemmt wird,
dagegen aber auch die Übel, die daraus entspringen, unsere Gattung
nöthigen, zu dem an sich heilsamen Widerstande vieler Staaten neben
einander, der aus ihrer Freiheit entspringt, ein Gesetz des Gleichgewichts
auszufinden und eine vereinigte Gewalt, die demselben Nachdruck gibt,
mithin einen weltbürgerlichen Zustand der öffentlichen Staatssicherheit
einzuführen, der nicht ohne alle Gefahr sei, damit die Kräfte der
Menschheit nicht einschlafen, aber doch auch nicht ohne ein Prinzip der
Gleichheit ihrer wechselseitigen Wirkung und Gegenwirkung,
damit sie einander nicht zerstören. Ehe dieser letzte Schritt (nämlich die
Staatenverbindung) geschehen, also fast nur auf der Hälfte ihrer
Ausbildung, erduldet die menschliche Natur die härtesten Übel unter dem
betrüglichen Anschein äußerer Wohlfahrt; und Rousseau hatte so
Unrecht nicht, wenn er den Zustand der Wilden vorzog, so bald man nämlich
diese letzte Stufe, die unsere Gattung noch zu ersteigen hat, wegläßt. Wir
sind im hohen Grade durch Kunst und Wissenschaft cultivirt.Wir sind
civilisirt bis zum Überlästigen zu allerlei gesellschaftlicher
Artigkeit und Anständigkeit. Aber uns schon für moralisirt zu
halten, daran fehlt noch sehr viel. Denn die Idee der Moralität gehört
noch zur Cultur; der Gebrauch dieser Idee aber, welcher nur auf das
Sittenähnliche in der Ehrliebe und der äußeren Anständigkeit hinausläuft,
macht blos die Civilisirung aus. So lange aber Staaten alle ihre Kräfte
auf ihre eiteln und gewaltsamen Erweiterungsabsichten verwenden und so die
langsame Bemühung der inneren Bildung der Denkungsart ihrer Bürger
unaufhörlich hemmen, ihnen selbst auch alle Unterstützung in dieser
Absicht entziehen, ist nichts von dieser Art zu erwarten: weil dazu eine
lange innere Bearbeitung jedes gemeinen Wesens zur Bildung seiner Bürger
erfordert wird. Alles Gute aber, das nicht auf moralisch-gute Gesinnung
gepropft ist, ist nichts als lauter Schein und schimmerndes Elend. In
diesem Zustande wird wohl das menschliche Geschlecht verbleiben, bis es
sich auf die Art, wie ich gesagt habe, aus dem chaotischen Zustande seiner
Staatsverhältnisse herausgearbeitet haben wird.
Achter Satz.
Man kann die Geschichte der Menschengattung im Großen als die
Vollziehung eines verborgenen Plans der Natur ansehen, um eine innerlich-
und zu diesem Zwecke auch äußerlich-vollkommene Staatsverfassung zu
Stande zu bringen, als den einzigen Zustand, in welchem sie alle ihre
Anlagen in der Menschheit völlig entwickeln kann. Der Satz ist eine
Folgerung aus dem vorigen. Man sieht: die Philosophie könne auch ihren
Chiliasmus haben; aber einen solchen, zu dessen Herbeiführung ihre
Idee, obgleich nur sehr von weitem, selbst beförderlich werden kann, der
also nichts weniger als schwärmerisch ist. Es kommt nur darauf an, ob die
Erfahrung etwas von einem solchen Gange der Naturabsicht entdecke. Ich
sage: etwas Weniges; denn dieser Kreislauf scheint so lange Zeit zu
erfordern, bis er sich schließt, daß man aus dem kleinen Theil, den die
Menschheit in dieser Absicht zurückgelegt hat, nur eben so unsicher die
Gestalt ihrer Bahn und das Verhältniß der Theile zum Ganzen bestimmen
kann, als aus allen bisherigen Himmelsbeobachtungen den Lauf, den unsere
Sonne sammt dem ganzen Heere ihrer Trabanten im großen Fixsternsystem
nimmt; obgleich doch aus dem allgemeinen Grunde der systematischen
Verfassung des Weltbaues und aus dem Wenigen, was man beobachtet hat,
zuverlässig genug, um auf die Wirklichkeit eines solchen Kreislaufs zu
schließen. Indessen bringt es die menschliche Natur so mit sich: selbst in
Ansehung der allerentferntesten Epoche, die unsere Gattung treffen soll,
nicht gleichgültig zu sein, wenn sie nur mit Sicherheit erwartet werden
kann. Vornehmlich kann es in unserem Falle um desto weniger geschehen, da
es scheint, wir könnten durch unsere eigene vernünftige Veranstaltung
diesen für unsere Nachkommen so erfreulichen Zeitpunkt schneller
herbeiführen. Um deswillen werden uns selbst die schwachen Spuren der
Annäherung desselben sehr wichtig. Jetzt sind die Staaten schon in einem
so künstlichen Verhältnisse gegen einander, daß keiner in der inneren
Cultur nachlassen kann, ohne gegen die andern an Macht und Einfluß zu
verlieren; also ist, wo nicht der Fortschritt, dennoch die Erhaltung
dieses Zwecks der Natur selbst durch die ehrsüchtigen Absichten derselben
ziemlich gesichert. Ferner: bürgerliche Freiheit kann jetzt auch nicht
sehr wohl angetastet werden, ohne den Nachtheil davon in allen Gewerben,
vornehmlich dem Handel, dadurch aber auch die Abnahme der Kräfte des
Staats im äußeren Verhältnisse zu fühlen. Diese Freiheit geht aber
allmählig weiter. Wenn man den Bürger hindert, seine Wohlfahrt auf alle
ihm selbst belibiege Art, die nur mit der Freiheit anderer zusammen
bestehen kann, zu suchen: so hemmt man die Lebhaftigkeit des durchgängigen
Betriebs und hiemit wiederum die Kräfte des Ganzen. Daher wird die
persönliche Einschränkung in seinem Thun und Lassen immer mehr aufgehoben,
die allgemeine Freiheit der Religion nachgegeben; und so entspringt
allmählich mit unterlaufendem Wahne und Grillen Aufklärung, als ein
großes Gut, welches das menschliche Geschlecht sogar von der
selbstsüchtigen Vergrößerungsabsicht seiner Beherrscher ziehen muß, wenn
sie nur ihren eigenen Vortheil verstehen. Diese Aufklärung aber und mit
ihr auch ein gewisser Herzensantheil, den der aufgeklärte Mensch am Guten,
das er vollkommen begreift, zu nehmen nicht vermeiden kann, muß nach und
nach bis zu den Thronen hinauf gehen und selbst auf ihre
Regierungsgrundsätze Einfluß haben. Obgleich z.B. unsere Weltregierer zu
öffentlichen Erziehungsanstalten und überhaupt zu allem, was das Weltbeste
betrifft, für jetzt kein Geld übrig haben, weil alles auf den künftigen
Krieg schon zum Voraus verrechnet ist: so werden sie doch ihren eigenen
Vortheil darin finden, die obzwar schwachen und langsamen eigenen
Bemühungen ihres Volkes in diesem Stücke wenigstens nicht zu hindern.
Endlich wird selbst der Krieg allmählig nicht allein ein so künstliches,
im Ausgange von beiden Seiten so unsicheres, sondern auch durch die
Nachwehen, die der Staat in einer immer anwachsenden Schuldenlast (einer
neuen Erfindung) fühlt, deren Tilgung unabsehlich wird, ein so
bedenkliches Unternehmen, dabei der Einfluß, den jede Staatserschütterung
in unserem durch seine Gewerbe so sehr verketteten Welttheil auf alle
anderen Staaten thut, so merklich: daß sich diese, durch ihre eigene
Gefahr gedrungen, obgleich ohne gesetzliches Ansehen, zu Schiedsrichtern
anbieten und so alles von weitem zu einem künftigen großen Staatskörper
anschicken, wovon die Vorwelt kein Beispiel aufzuzeigen hat. Obgleich
dieser Staatskörper für jetzt nur noch sehr im rohen Entwurfe dasteht, so
fängt sich dennoch gleichsam schon ein Gefühl in allen Gliedern, deren
jedem an der Erhaltung des Ganzen gelegen ist, an zu regen; und dieses
giebt Hoffnung, daß nach manchen Revolutionen der Umbildung endlich das,
was die Natur zur höchsten Absicht hat, ein allgemeiner
weltbürgerlicher Zustand, als der Schooß, worin alle ursprünglichen
Anlagen der Menschengattung entwickelt werden, dereinst einmal zu Stande
kommen werde.
Neunter Satz.
Ein philosophischer Versuch, die allgemeine Weltgeschichte nach einen
Plane der Natur, der auf die vollkommene bürgerliche Vereinigung in der
Menschengattung abziele, zu bearbeiten, muß als möglich und selbst für
diese Naturabsicht beförderlich angesehen werden. Es ist zwar ein
befremdlicher und dem Anscheine nach ungereimter Anschlag, nach einer
Idee, wie der Weltlauf gehen müßte, wenn er gewissen vernünftigen Zwecken
angemessen sein sollte, eine Geschichte abfassen zu wollen; es
scheint, in einer solchen Absicht könnte nur ein Roman zu Stande
kommen. Wenn man indessen annehmen darf: daß die Natur selbst im Spiele
der menschlichen Freiheit nicht ohne Plan und Endabsicht verfahre, so
könnte diese Idee doch wohl brauchbar werden; und ob wir gleich zu
kurzsichtig sind, den geheimen Mechanism ihrer Veranstaltung zu
durchschauen, so dürfte diese Idee uns doch zum Leitfaden dienen, ein
sonst planloses Aggregat menschlicher Handlungen wenigstens im
Großen als ein System darzustellen. Denn wenn man von der
griechischen Geschichte - als derjenigen, wodurch uns jede andere
ältere oder gleichzeitige aufbehalten worden, wenigstens beglaubigt werden
muß[iii]
- anhebt; wenn man derselben Einfluß auf die Bildung und Mißbildung des
Staatskörpers des römischen Volks, das den griechischen Staat
verschlang, und des letzteren Einfluß auf die Barbaren, die jenen
wiederum zerstörten, bis auf unsere Zeit verfolgt; dabei aber die
Staatengeschichte anderer Völker, so wie deren Kenntniß durch eben diese
aufgeklärten Nationen allmählig zu uns gelangt ist, episodisch
hinzuthut: so wird man einen regelmäßigen Gang der Verbesserung der
Staatsverfassung in unserem Welttheile (der wahrscheinlicher Weise allen
anderen dereinst Gesetze geben wird) entdecken. Indem man ferner
allenthalben nur auf die bürgerliche Verfassung und deren Gesetze und auf
das Staatsverhältnis Acht hat, in so fern beide durch das Gute, welches
sie enthielten, eine Zeitlang dazu dienten, Völker (mit ihnen auch Künste
und Wissenschaften) empor zu heben und zu verherrlichen, durch das
Fehlerhafte aber, das ihnen anhing, sie wiederum zu stürzen, so doch, daß
immer ein Keim der Aufklärung übrig blieb, der, durch jede Revolution mehr
entwickelt, eine folgende noch höhere Stufe der Verbesserung vorbereitete:
so wird sich, wie ich glaube, ein Leitfaden entdecken, der nicht bloß zur
Erklärung des so verworrenen Spiels menschlicher Dinge, oder zur
politischen Wahrsagerkunst künftiger Staatsveränderungen dienen kann (ein
Nutzen, den man schon sonst aus der Geschichte der Menschen, wenn man sie
gleich als unzusammenhängende Wirkung einer regellosen Freiheit ansah,
gezogen hat!); sondern es wird (was man, ohne einen Naturplan
vorauszusetzen, nicht mit Grunde hoffen kann) eine tröstende Aussicht in
die Zukunft eröffnet werden, in welcher die Menschengattung in weiter
Ferne vorgestellt wird, wie sie sich endlich doch zu dem Zustande empor
arbeitet, in welchem alle Keime, die die Natur in sie legte, völlig können
entwickelt und ihre Bestimmung hier auf Erden kann erfüllt werden. Eine
solche Rechtfertigung der Natur - oder besser der Vorsehung
- ist kein unwichtiger Bewegungsgrund, einen besonderen Gesichtspunkt der
Weltbetrachtung zu wählen. Denn was hilfts, die Herrlichkeit und Weisheit
der Schöpfung im vernunftlosen Naturreiche zu preisen und der Betrachtung
zu empfehlen, wenn der Theil des großen Schauplatzes der obersten
Weisheit, der von allem diesem den Zweck enthält, - die Geschichte des
menschlichen Geschlechts - ein unaufhörlicher Einwurf dagegen bleiben
soll, dessen Anblick uns nöthigt unsere Augen von ihm mit Unwillen
wegzuwenden und, indem wir verzweifeln jemals darin eine vollendete
vernünftige Absicht anzutreffen, uns dahin bringt, sie nur in einer andern
Welt zu hoffen?
Daß ich mit dieser Idee einer Weltgeschichte, die gewissermaßen einen
Leitfaden a priori hat, die Bearbeitung der eigentlichen bloß
empirisch abgefaßten Historie verdrängen wollte: wäre Mißdeutung meiner
Absicht; es ist nur ein Gedanke von dem, was ein philosophischer Kopf (der
übrigens sehr geschichtskundig sein müßte) noch aus einem anderen
Standpunkte versuchen könnte. Überdem muß die sonst rühmliche
Umständlichkeit, mit der man jetzt die Geschichte seiner Zeit abfaßt, doch
einen jeden natürlicher Weise auf die Bedenklichkeit bringen: wie es
unsere späten Nachkommen anfangen werden, die Last von Geschichte, die wir
ihnen nach einigen Jahrhunderten hinterlassen möchten, zu fassen. Ohne
Zweifel werden sie die der ältesten Zeit, von der ihnen die Urkunden
längst erloschen sein dürften, nur aus dem Gesichtspunkte dessen, was sie
interessiert, nämlich desjenigen, was Völker und Regierungen in
weltbürgerlicher Absicht geleistet oder geschadet haben, schätzen. Hierauf
aber Rücksicht zu nehmen, imgleichen auf die Ehrbegierde der
Staatsoberhäupter sowohl als ihrer Diener, um sie auf das einzige Mittel
zu richten, daß ihr rühmliches Andenken auf die späteste Zeit bringen
kann: das kann noch überdem einen kleinen Bewegungsgrund zum
Versuche einer solchen philosophischen Geschichte abgeben.
[i]
Eine Stelle unter den kurzen Anzeigen des zwölften Stücks der
Gothaisschen Gel. Zeit. d. J., die ohne Zweifel aus meiner
Unterredung mit einem durchreisenden Gelehrten genommen worden,
nöthigt mir diese Erläuterung ab, ohne die jene keinen begreiflichen
Sinn haben würde.
[ii]
Die Rolle des Menschen ist also sehr
künstlich. Wie es mit den Einwohnern anderer Planeten und ihrer Natur
beschaffen sei, wissen wir nicht; wenn wir aber diesen Auftrag der
Natur gut ausrichten, so können wir uns wohl schmeicheln, daß wir
unter unseren Nachbaren im Weltgebäude einen nicht geringen Rang
behaupten dürften. Vielleicht mag bei diesen ein jedes Individuum
seine Bestimmung in seinem Leben völlig erreichen. Bei uns ist es
anders; nur die Gattung kann dieses hoffen.
[iii]
Nur ein gelehrtes Publicum, das
von seinem Anfange an bis zu uns ununterbrochen fortgedauert hat, kann
die alte Geschichte beglaubigen. Über dasselbe hinaus ist alles terra
incognita; und die Geschichte der Völker, die außer demselben lebten,
kann nur von der Zeit angefangen werden, da sie darin eintraten. Dies
geschah mit dem jüdischen Volk zur Zeit der Ptolemäer durch die
griechische Bibelübersetzung, ohne welche man ihren isolierten
Nachrichten wenig Glauben beimessen würde. Von da (wenn dieser Anfang
vorerst gehörig ausgemittelt worden) kann man aufwärts ihren
Erzählungen nachgehen. Und so mit allen übrigen Völkern. Das erste
Blatt im Thukydides (sagt Hume) ist der einzige Anfang
aller wahren Geschichte.
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