Georg Trakl
S e b a s t i a n i m T r a u m

Erstveröffentlichung
im Kurt-Wolff-Verlag,
Leipzig 1915
Auswahl
__________________________
S e b a s t i a n i m T
r a u m
Kindheit
Voll Früchten der Hollunder; ruhig wohnte die Kindheit
In blauer Höhle. Über vergangenen Pfad,
Wo nun bräunlich das wilde Gras saust,
Sinnt das stille Geäst; das Rauschen des Laubs
5
Ein gleiches, wenn das blaue Wasser im
Felsen tönt.
Sanft ist der Amsel Klage. Ein Hirt
Folgt sprachlos der Sonne, die vom
herbstlichen Hügel rollt.
Ein blauer Augenblick ist nur mehr Seele.
10
Am Waldsaum zeigt sich ein
scheues Wild und friedlich
Ruhn im Grund die alten Glocken und finsteren Weiler.
Frömmer kennst du den Sinn der dunklen Jahre,
Kühle und Herbst in einsamen Zimmern;
Und in heiliger Bläue läuten leuchtende Schritte fort.
15
Leise klirrt ein offenes Fenster; zu
Tränen
Rührt der Anblick des verfallenen Friedhofs am Hügel,
Erinnerung an erzählte Legenden; doch manchmal erhellt sich die Seele,
Wenn sie frohe Menschen denkt, dunkelgoldene Frühlingstage.
Stundenlied
Mit dunklen Blicken sehen sich die Liebenden an,
Die Blonden, Strahlenden. In starrender Finsternis
Umschlingen schmächtig sich die sehnenden Arme.
Purpurn zerbrach der Gesegneten Mund. Die runden Augen
5
Spiegeln das dunkle Gold des
Frühlingsnachmittags,
Saum und Schwärze des Walds, Abendängste im Grün;
Vielleicht unsäglichen Vogelflug, des Ungeborenen
Pfad an finsteren Dörfern, einsamen Sommern hin
Und aus verfallener Bläue tritt bisweilen ein Abgelebtes.
10
Leise rauscht im Acker das gelbe Korn.
Hart ist das Leben und stählern schwingt die Sense der Landmann,
Fügt gewaltige Balken der Zimmermann.
Purpurn färbt sich das Laub im Herbst; der mönchische Geist
Durchwandelt heitere Tage; reif ist die Traube
15
Und festlich die Luft in geräumigen Höfen.
Süßer duften vergilbte Früchte; leise ist das Lachen
Des Frohen, Musik und Tanz in schattigen Kellern;
Im dämmernden Garten Schritt und Stille des verstorbenen Knaben.
Unterwegs
Am Abend trugen sie den Fremden in die Totenkammer;
Ein Duft von Teer; das leise Rauschen roter Platanen;
Der dunkle Flug der Dohlen; am Platz zog eine Wache auf.
Die Sonne ist in schwarze Linnen gesunken; immer wieder kehrt dieser
vergangene Abend.
5
Im Nebenzimmer spielt die
Schwester eine Sonate von Schubert.
Sehr leise sinkt ihr Lächeln in den verfallenen Brunnen,
Der bläulich in der Dämmerung rauscht. O, wie alt ist unser Geschlecht.
Jemand flüstert drunten im Garten; jemand hat diesen schwarzen Himmel
verlassen.
Auf der Kommode duften Äpfel. Großmutter zündet goldene Kerzen an.
10
O, wie mild ist der Herbst. Leise klingen
unsere Schritte im alten Park
Unter hohen Bäumen. O, wie ernst ist das hyazinthene Antlitz der
Dämmerung.
Der blaue Quell zu deinen Füßen, geheimnisvoll die rote Stille deines
Munds,
Umdüstert vom Schlummer des Laubs, dem dunklen Gold verfallener
Sonnenblumen.
Deine Lider sind schwer von Mohn und träumen leise auf meiner Stirne.
15
Sanfte Glocken durchzittern die Brust.
Eine blaue Wolke
Ist dein Antlitz auf mich gesunken in der Dämmerung.
Ein Lied zur Guitarre, das in einer fremden Schenke erklingt,
Die wilden Hollunderbüsche dort, ein lang vergangener Novembertag,
Vertraute Schritte auf der dämmernden Stiege, der Anblick gebräunter
Balken,
20
Ein offenes Fenster, an dem ein süßes
Hoffen zurückblieb -
Unsäglich ist das alles, o Gott, daß man erschüttert ins Knie bricht.
O, wie dunkel ist diese Nacht. Eine purpurne Flamme
Erlosch an meinem Mund. In der Stille
Erstirbt der bangen Seele einsames Saitenspiel.
25
Laß, wenn trunken von Wein das Haupt in
die Gosse sinkt.
Landschaft
2. Fassung
Septemberabend; traurig tönen die dunklen Rufe der Hirten
Durch das dämmernde Dorf; Feuer sprüht in der Schmiede.
Gewaltig bäumt sich ein schwarzes Pferd; die hyazinthenen Locken der Magd
Haschen nach der Inbrunst seiner purpurnen Nüstern.
5
Leise erstarrt am Saum des Waldes der
Schrei der Hirschkuh
Und die gelben Blumen des Herbstes
Neigen sich sprachlos über das blaue Antlitz des Teichs.
In roter Flamme verbrannte ein Baum; aufflattern mit dunklen Gesichtern
die Fledermäuse.
An den Knaben Elis
Elis, wenn die Amsel im schwarzen Wald ruft,
Dieses ist dein Untergang.
Deine Lippen trinken die Kühle des blauen Felsenquells.
Laß, wenn deine Stirne leise blutet
5
Uralte Legenden
Und dunkle Deutung des Vogelflugs.
Du aber gehst mit weichen Schritten in die Nacht,
Die voll purpurner Trauben hängt,
Und du regst die Arme schöner im Blau.
10
Ein Dornenbusch tönt,
Wo deine mondenen Augen sind.
O, wie lange bist, Elis, du verstorben.
Dein Leib ist eine Hyazinthe,
In die ein Mönch die wächsernen Finger taucht.
15
Eine schwarze Höhle ist unser Schweigen,
Daraus bisweilen ein sanftes Tier tritt
Und langsam die schweren Lider senkt.
Auf deine Schläfen tropft schwarzer Tau,
Das letzte Gold verfallener Sterne.
Elis
3. Fassung
1
Vollkommen ist die Stille dieses goldenen Tags.
Unter alten Eichen
Erscheinst du, Elis, ein Ruhender mit runden Augen.
Ihre Bläue spiegelt den Schlummer der Liebenden.
5
An deinem Mund
Verstummten ihre rosigen Seufzer.
Am Abend zog der Fischer die schweren Netze ein.
Ein guter Hirt
Führt seine Herde am Waldsaum hin.
10
O! wie gerecht sind, Elis, alle deine
Tage.
Leise sinkt
An kahlen Mauern des Ölbaums blaue Stille,
Erstirbt eines Greisen dunkler Gesang.
Ein goldener Kahn
15
Schaukelt, Elis, dein Herz am einsamen
Himmel.
2
Ein sanftes Glockenspiel tönt in Elis' Brust
Am Abend,
Da sein Haupt in schwarze Kissen sinkt.
Ein blaues Wild
20
Blutet leise im
Dornengestrüpp.
Ein brauner Baum steht abgeschieden da;
Seine blauen Früchte fielen von ihm.
Zeichen und Sterne
Versinken leise im Abendweiher.
25
Hinter dem Hügel ist es Winter geworden.
Blaue Tauben
Trinken nachts den eisigen Schweiß,
Der von Elis' kristallener Stirne rinnt.
Immer tönt
30
An schwarzen Mauern Gottes einsamer Wind.
Sebastian im Traum
Für Adolf Loos
1
Mutter trug das Kindlein im weißen Mond,
Im Schatten des Nußbaums, uralten Hollunders,
Trunken vom Safte des Mohns, der Klage der Drossel;
Und stille
5
Neigte in Mitleid sich über jene ein
bärtiges Antlitz
Leise im Dunkel des Fensters; und altes Hausgerät
Der Väter
Lag im Verfall; Liebe und herbstliche Träumerei.
Also dunkel der Tag des Jahres, traurige Kindheit,
10
Da der Knabe leise zu kühlen Wassern,
silbernen Fischen hinabstieg,
Ruh und Antlitz;
Da er steinern sich vor rasende Rappen warf,
In grauer Nacht sein Stern über ihn kam;
Oder wenn er an der frierenden Hand der Mutter
15
Abends über Sankt Peters herbstlichen
Friedhof ging,
Ein zarter Leichnam stille im Dunkel der Kammer lag
Und jener die kalten Lider über ihn aufhob.
Er aber war ein kleiner Vogel im kahlen Geäst,
Die Glocke lang im Abendnovember,
20
Des Vaters Stille, da er im Schlaf die
dämmernde Wendeltreppe hinabstieg.
2
Frieden der Seele. Einsamer Winterabend,
Die dunklen Gestalten der Hirten am alten Weiher;
Kindlein in der Hütte von Stroh; o wie leise
Sank in schwarzem Fieber das Antlitz hin.
25
Heilige Nacht.
Oder wenn er an der harten Hand des Vaters
Stille den finstern Kalvarienberg hinanstieg
Und in dämmernden Felsennischen
Die blaue Gestalt des Menschen durch seine Legende ging,
30
Aus der Wunde unter dem Herzen purpurn das
Blut rann.
O wie leise stand in dunkler Seele das Kreuz auf.
Liebe; da in schwarzen Winkeln der Schnee schmolz,
Ein blaues Lüftchen sich heiter im alten Hollunder fing,
In dem Schattengewölbe des Nußbaums;
35
Und dem Knaben leise sein rosiger Engel
erschien.
Freude; da in kühlen Zimmern eine Abendsonate erklang,
Im braunen Holzgebälk
Ein blauer Falter aus der silbernen Puppe kroch.
O die Nähe des Todes. In steinerner Mauer
40
Neigte sich ein gelbes
Haupt, schweigend das Kind,
Da in jenem März der Mond verfiel.
3
Rosige Osterglocke im Grabgewölbe der Nacht
Und die Silberstimmen der Sterne,
Daß in Schauern ein dunkler Wahnsinn von der Stirne des Schläfers sank.
45
O wie stille ein Gang den blauen Fluß
hinab
Vergessenes sinnend, da im grünen Geäst
Die Drossel ein Fremdes in den Untergang rief.
Oder wenn er an der knöchernen Hand des Greisen
Abends vor die verfallene Mauer der Stadt ging
50
Und jener in schwarzem Mantel ein rosiges
Kindlein trug,
Im Schatten des Nußbaums der Geist des Bösen erschien.
Tasten über die grünen Stufen des Sommers. O wie leise
Verfiel der Garten in der braunen Stille des Herbstes,
Duft und Schwermut des alten Hollunders,
55
Da in Sebastians Schatten
die Silberstimme des Engels erstarb.
Am Moor
3. Fassung
Wanderer im schwarzen Wind; leise flüstert das dürre Rohr
In der Stille des Moors. Am grauen Himmel
Ein Zug von wilden Vögeln folgt;
Quere über finsteren Wassern.
5
Aufruhr. In verfallener Hütte
Aufflattert mit schwarzen Flügeln die Fäulnis;
Verkrüppelte Birken seufzen im Wind.
Abend in verlassener Schenke. Den Heimweg umwittert
Die sanfte Schwermut grasender Herden,
10
Erscheinung der Nacht:
Kröten tauchen aus silbernen Wassern.
[ Am Moor
2. Fassung
Mantel im schwarzen Wind. Leise flüstert das dürre Rohr
In der Stille des Moors; am grauen Himmel
Ein Zug von wilden Vögeln folgt;
Quere über finsteren Wassern.
5
Knöchern gleiten die Hände durch kahle
Birken,
Knickt der Schritt in braunes Gehölz,
Wo zu sterben ein einsames Tier wohnt.
Aufruhr. In verfallener Hütte
Flattert mit schwarzen Flügeln ein gefallener Engel,
10
Schatten der Wolke; und der
Wahnsinn des Baums;
Schrei der Elster. Altes Weiblein kreuzt den Weg
Ins Dorf. Unter schwarzem Geäst
O was bannt mit Fluch und Feuer den Schritt
Stummes Glockengeläut; Nähe des Schnees.
15
Sturm. Der dunkle Geist der Fäulnis im
Moor
Und die Schwermut grasender Herden.
Schweigend jagt
Den Himmel mit zerbrochnen Masten die Nacht. ]
Im Frühling
Leise sank von dunklen Schritten der Schnee,
Im Schatten des Baums
Heben die rosigen Lider Liebende.
Immmer folgt den dunklen Rufen der Schiffer
5
Stern und Nacht;
Und die Ruder schlagen leise im Takt.
Balde an verfallener Mauer blühen
Die Veilchen,
Ergrünt so stille die Schläfe des Einsamen.
Kaspar Hauser Lied
Für Bessie Loos
Er wahrlich liebte die Sonne, die purpurn den Hügel hinabstieg,
Die Wege des Walds, den singenden Schwarzvogel
Und die Freude des Grüns.
Ernsthaft war sein Wohnen im Schatten des Baums
5
Und rein sein Antlitz.
Gott sprach eine sanfte Flamme zu seinem Herzen:
O Mensch!
Stille fand sein Schritt die Stadt am Abend;
Die dunkle Klage seines Munds:
10
Ich will ein Reiter werden.
Ihm aber folgte Busch und Tier,
Haus und Dämmergarten weißer Menschen
Und sein Mörder suchte nach ihm.
Frühling und Sommer und schön der Herbst
15
Des Gerechten, sein leiser
Schritt
An den dunklen Zimmern Träumender hin.
Nachts blieb er mit seinem Stern allein;
Sah, daß Schnee fiel in kahles Gezweig
Und im dämmernden Hausflur den Schatten des Mörders.
20
Silbern sank des Ungebornen Haupt hin.
Nachts
Die Bläue meiner Augen ist erloschen in dieser Nacht,
Das rote Gold meines Herzens. O! wie stille brannte das Licht.
Dein blauer Mantel umfing den Sinkenden;
Dein roter Mund besiegelte des Freundes Umnachtung.
Verwandlung des Bösen
2. Fassung
Herbst: schwarzes Schreiten am Waldsaum; Minute stummer Zerstörung;
auflauscht die Stirne des Aussätzigen unter dem kahlen Baum.
Langvergangener Abend, der nun über die Stufen von Moos sinkt; November.
Eine Glocke läutet und der Hirt führt eine Herde von schwarzen und roten
Pferden ins Dorf. Unter dem Haselgebüsch weidet der grüne Jäger ein Wild
aus. Seine Hände rauchen von Blut und der Schatten des Tiers seufzt im
Laub über den Augen des Mannes, braun und schweigsam; der Wald. Krähen,
die sich zerstreuen; drei. Ihr Flug gleicht einer Sonate, voll
verblichener Akkorde und männlicher Schwermut; leise löst sich eine
goldene Wolke auf. Bei der Mühle zünden Knaben ein Feuer an. Flamme ist
des Bleichsten Bruder und jener lacht vergraben in sein purpurnes Haar;
oder es ist ein Ort des Mordes, an dem ein steiniger Weg vorbeiführt. Die
Berberitzen sind verschwunden, jahrlang träumt es in bleierner Luft unter
den Föhren; Angst, grünes Dunkel, das Gurgeln eines Ertrinkenden: aus dem
Sternenweiher zieht der Fischer einen großen, schwarzen Fisch, Antlitz
voll Grausamkeit und Irrsinn. Die Stimmen des Rohrs, hadernder Männer im
Rücken schaukelt jener auf rotem Kahn über frierende Herbstwasser, lebend
in dunklen Sagen seines Geschlechts und die Augen steinern über Nächte und
jungfräuliche Schrecken aufgetan. Böse.
Was zwingt dich still zu stehen auf der verfallenen Stiege, im Haus
deiner Väter? Bleierne Schwärze. Was hebst du mit silberner Hand an die
Augen; und die Lider sinken wie trunken von Mohn? Aber durch die Mauer von
Stein siehst du den Sternenhimmel, die Milchstraße, den Saturn; rot.
Rasend an die Mauer von Stein klopft der kahle Baum. Du auf verfallenen
Stufen: Baum, Stern, Stein! Du, ein blaues Tier, das leise zittert; du,
der bleiche Priester, der es hinschlachtet am schwarzen Altar. O dein
Lächeln im Dunkel, traurig und böse, daß ein Kind im Schlaf erbleicht.
Eine rote Flamme sprang aus deiner Hand und ein Nachfalter verbrannte
daran. O die Flöte des Lichts; o die Flöte des Tods. Was zwang dich still
zu stehen auf verfallener Stiege, im Haus deiner Väter? Drunten ans Tor
klopft ein Engel mit kristallnem Finger.
O die Hölle des Schlafs; dunkle Gasse, braunes Gärtchen. Leise läutet
im blauen Abend der Toten Gestalt. Grüne Blümchen umgaukeln sie und ihr
Antlitz hat sie verlassen. Oder es neigt sich verblichen über die kalte
Stirne des Mörders im Dunkel des Hausflurs; Anbetung, purpurne Flamme der
Wollust; hinsterbend stürzte über schwarze Stufen der Schläfer ins Dunkel.
Jemand verließ dich am Kreuzweg und du schaust lange zurück. Silberner
Schritt im Schatten verkrüppelter Apfelbäumchen. Purpurn leuchtet die
Frucht im schwarzen Geäst und im Gras häutet sich die Schlange. O! das
Dunkel; der Schweiß, der auf die eisige Stirne tritt und die traurigen
Träume im Wein, in der Dorfschenke unter schwarzverrauchtem Gebälk. Du,
noch Wildnis, die rosige Inseln zaubert aus dem braunen Tabaksgewölk und
aus dem Innern den wilden Schrei eines Greifen holt, wenn er um schwarze
Klippen jagt in Meer, Sturm und Eis. Du, ein grünes Metall und innen ein
feuriges Gesicht, das hingehen will und singen vom Beinerhügel finstere
Zeiten und den flammenden Sturz des Engels. O! Verzweiflung, die mit
stummem Schrei ins Knie bricht.
Ein Toter besucht dich. Aus dem Herzen rinnt das selbstvergossene Blut
und in schwarzer Braue nistet unsäglicher Augenblick; dunkle Begegnung. Du
- ein purpurner Mond, da jener im grünen Schatten des Ölbaums erscheint.
Dem folgt unvergängliche Nacht.
D e r H e r b s t d e s E i n s a m
e n
Die Verfluchten
1
Es dämmert. Zum Brunnen gehn die alten Fraun.
Im Dunkel der Kastanien lacht ein Rot.
Aus einem Laden rinnt ein Duft von Brot
Und Sonnenblumen sinken übern Zaun.
5
Am Fluß die Schenke tönt noch lau und
leis.
Guitarre summt; ein Klimperklang von Geld.
Ein Heiligenschein auf jene Kleine fällt,
Die vor der Glastür wartet sanft und weiß.
O! blauer Glanz, den sie in Scheiben weckt,
10
Umrahmt von Dornen, schwarz und
starrverzückt.
Ein krummer Schreiber lächelt wie verrückt
Ins Wasser, das ein wilder Aufruhr schreckt.
2
Am Abend säumt die Pest ihr blau Gewand
Und leise schließt die Tür ein finstrer Gast.
15
Durchs Fenster sinkt des Ahorns schwarze
Last;
Ein Knabe legt die Stirn in ihre Hand.
Oft sinken ihre Lider bös und schwer.
Des Kindes Hände rinnen durch ihr Haar
Und seine Tränen stürzen heiß und klar
20
In ihre Augenhöhlen schwarz
und leer.
Ein Nest von scharlachfarbnen Schlangen bäumt
Sich träg in ihrem aufgewühlten Schoß.
Die Arme lassen ein Erstorbenes los,
Das eines Teppichs Traurigkeit umsäumt.
3
25
Ins braune Gärtchen tönt ein Glockenspiel.
Im Dunkel der Kastanien schwebt ein Blau,
Der süße Mantel einer fremden Frau.
Resedenduft; und glühendes Gefühl
Des Bösen. Die feuchte Stirn beugt kalt und bleich
30
Sich über Unrat, drin die Ratte wühlt,
Vom Scharlachglanz der Sterne lau umspült;
Im Garten fallen Äpfel dumpf und weich.
Die Nacht ist schwarz. Gespenstisch bläht der Föhn
Des wandelnden Knaben weißes Schlafgewand
35
Und leise greift in seinen Mund die Hand
Der Toten. Sonja lächelt sanft und schön.
Der Herbst des Einsamen
Der dunkle Herbst kehrt ein voll Frucht und Fülle,
Vergilbter Glanz von schönen Sommertagen.
Ein reines Blau tritt aus verfallener Hülle;
Der Flug der Vögel tönt von alten Sagen.
5
Gekeltert ist der Wein, die milde Stille
Erfüllt von leiser Antwort dunkler Fragen.
Und hier und dort ein Kreuz auf ödem Hügel;
Im roten Wald verliert sich eine Herde.
Die Wolke wandert übern Weiherspiegel;
10
Es ruht des Landmanns ruhige Geberde.
Sehr leise rührt des Abends blauer Flügel
Ein Dach von dürrem Stroh, die schwarze Erde.
Bald nisten Sterne in des Müden Brauen;
In kühle Stuben kehrt ein still Bescheiden
15
Und Engel treten leise aus
den blauen
Augen der Liebenden, die sanfter leiden.
Es rauscht das Rohr; anfällt ein knöchern Grauen,
Wenn schwarz der Tau tropft von den kahlen Weiden.
S i e b e n g e s a n
g d e s T o d e s
Ruh und Schweigen
Hirten begruben die Sonne im kahlen Wald.
Ein Fischer zog
In härenem Netz den Mond aus frierendem Weiher.
In blauem Kristall
5
Wohnt der bleiche Mensch,
die Wang' an seine Sterne gelehnt;
Oder er neigt das Haupt in purpurnem Schlaf.
Doch immer rührt der schwarze Flug der Vögel
Den Schauenden, das Heilige blauer Blumen,
Denkt die nahe Stille Vergessenes, erloschene Engel.
10
Wieder nachtet die Stirne in mondenem
Gestein;
Ein strahlender Jüngling
Erscheint die Schwester in Herbst und schwarzer Verwesung.
Untergang
An Karl Borromaeus Heinrich
5. Fassung
Über den weißen Weiher
Sind die wilden Vögel fortgezogen.
Am Abend weht von unseren Sternen ein eisiger Wind.
Über unsere Gräber
5
Beugt sich die zerbrochene Stirne der
Nacht.
Unter Eichen schaukeln wir auf einem silbernen Kahn.
Immer klingen die weißen Mauern der Stadt.
Unter Dornenbogen
O mein Bruder klimmen wir blinde Zeiger gen Mitternacht.
Karl Kraus
Weißer Hohepriester der Wahrheit,
Kristallne Stimme, in der Gottes eisiger Odem wohnt,
Zürnender Magier,
Dem unter flammendem Mantel der blaue Panzer des Kriegers klirrt.
Siebengesang des Todes
Bläulich dämmert der Frühling; unter saugenden Bäumen
Wandert ein Dunkles in Abend und Untergang,
Lauschend der sanften Klage der Amsel.
Schweigend erscheint die Nacht, ein blutendes Wild,
5
Das langsam hinsinkt am
Hügel.
In feuchter Luft schwankt blühendes Apfelgezweig,
Löst silbern sich Verschlungenes,
Hinsterbend aus nächtigen Augen; fallende Sterne;
Sanfter Gesang der Kindheit.
10
Erscheinender stieg der Schläfer den
schwarzen Wald hinab,
Und es rauschte ein blauer Quell im Grund,
Daß jener leise die bleichen Lider aufhob
Über sein schneeiges Antlitz;
Und es jagte der Mond ein rotes Tier
15
Aus seiner Höhle;
Und es starb in Seufzern die dunkle Klage der Frauen.
Strahlender hob die Hände zu seinem Stern
Der weiße Fremdling;
Schweigend verläßt ein Totes das verfallene Haus.
20
O des Menschen verweste Gestalt: gefügt
aus kalten Metallen,
Nacht und Schrecken versunkener Wälder
Und der sengenden Wildnis des Tiers;
Windesstille der Seele.
Auf schwärzlichem Kahn fuhr jener schimmernde Ströme hinab,
25
Purpurner Sterne voll, und es sank
Friedlich das ergrünte Gezweig auf ihn,
Mohn aus silberner Wolke.
G e s a n g d e s
A b g e s c h i e d e n e n
In Venedig
Stille in nächtigem Zimmer.
Silbern flackert der Leuchter
Vor dem singenden Odem
Des Einsamen;
5
Zaubrisches Rosengewölk.
Schwärzlicher Fliegenschwarm
Verdunkelt den steinernen Raum,
Und es starrt von der Qual
Des goldenen Tags das Haupt
10
Des Heimatlosen.
Reglos nachtet das Meer.
Stern und schwärzliche Fahrt
Entschwand am Kanal.
Kind, dein kränkliches Lächeln
15
Folgte mir leise im Schlaf.
Sommer
Am Abend schweigt die Klage
Des Kuckucks im Wald.
Tiefer neigt sich das Korn,
Der rote Mohn.
5
Schwarzes Gewitter droht
Über dem Hügel.
Das alte Lied der Grille
Erstirbt im Feld.
Nimmer regt sich das Laub
10
Der Kastanie.
Auf der Wendeltreppe
Rauscht dein Kleid.
Stille leuchtet die Kerze
Im dunklen Zimmer;
15
Eine silberne Hand
Löschte sie aus;
Windstille, sternlose Nacht.
Abendland
Else Lasker-Schüler in Verehrung
4. Fassung
1
Mond, als träte ein Totes
Aus blauer Höhle,
Und es fallen der Blüten
Viele über den Felsenpfad.
5
Silbern weint ein Krankes
Am Abendweiher,
Auf schwarzem Kahn
Hinüberstarben Liebende.
Oder es läuten die Schritte
10
Elis' durch den Hain
Den hyazinthenen
Wieder verhallend unter Eichen.
O des Knaben Gestalt
Geformt aus kristallenen Tränen,
15
Nächtigen Schatten.
Zackige Blitze erhellen die Schläfe
Die immerkühle,
Wenn am grünenden Hügel
Frühlingsgewitter ertönt.
2
20
So leise sind die grünen Wälder
Unsrer Heimat,
Die kristallne Woge
Hinsterbend an verfallner Mauer
Und wir haben im Schlaf geweint;
25
Wandern mit zögernden Schritten
An der dornigen Hecke hin
Singende im Abendsommer,
In heiliger Ruh
Des fern verstrahlenden Weinbergs;
30
Schatten nun im kühlen Schoß
Der Nacht, trauernde Adler.
So leise schließt ein mondener Strahl
Die purpurnen Male der Schwermut.
3
Ihr großen Städte
35
Steinern aufgebaut
In der Ebene!
So sprachlos folgt
Der Heimatlose
Mit dunkler Stirne dem Wind,
40
Kahlen Bäumen am Hügel.
Ihr weithin dämmernden Ströme!
Gewaltig ängstet
Schaurige Abendröte
Im Sturmgewölk.
45
Ihr sterbenden Völker!
Bleiche Woge
Zerschellend am Strande der Nacht,
Fallende Sterne.
Frühling der Seele
Aufschrei im Schlaf; durch schwarze Gassen stürzt der Wind,
Das Blau des Frühlings winkt durch brechendes Geäst,
Purpurner Nachttau und es erlöschen rings die Sterne.
Grünlich dämmert der Fluß, silbern die alten Alleen
5
Und die Türme der Stadt. O sanfte
Trunkenheit
Im gleitenden Kahn und die dunklen Rufe der Amsel
In kindlichen Gärten. Schon lichtet sich der rosige Flor.
Feierlich rauschen die Wasser. O die feuchten Schatten der Au,
Das schreitende Tier; Grünendes, Blütengezweig
10
Rührt die kristallene Stirne; schimmernder
Schaukelkahn.
Leise tönt die Sonne im Rosengewölk am Hügel.
Groß ist die Stille des Tannenwalds, die ernsten Schatten am Fluß.
Reinheit! Reinheit! Wo sind die furchtbaren Pfade des Todes,
Des grauen steinernen Schweigens, die Felsen der Nacht
15
Und die friedlosen Schatten?
Strahlender Sonnenabgrund.
Schwester, da ich dich fand an einsamer Lichtung
Des Waldes und Mittag war und groß das Schweigen des Tiers;
Weiße unter wilder Eiche, und es blühte silbern der Dorn.
Gewaltiges Sterben und die singende Flamme im Herzen.
20
Dunkler umfließen die Wasser die schönen
Spiele der Fische.
Stunde der Trauer, schweigender Anblick der Sonne;
Es ist die Seele ein Fremdes auf Erden. Geistlich dämmert
Bläue über dem verhauenen Wald und es läutet
Lange eine dunkle Glocke im Dorf; friedlich Geleit.
25
Stille blüht die Myrthe über den weißen
Lidern des Toten.
Leise tönen die Wasser im sinkenden Nachmittag
Und es grünet dunkler die Wildnis am Ufer, Freude im rosigen Wind;
Der sanfte Gesang des Bruders am Abendhügel.
Im Dunkel
2. Fassung
Es schweigt die Seele den blauen Frühling.
Unter feuchtem Abendgezweig
Sank in Schauern die Stirne den Liebenden.
O das grünende Kreuz. In dunklem Gespräch
5
Erkannten sich Mann und Weib.
An kahler Mauer
Wandelt mit seinen Gestirnen der Einsame.
Über die mondbeglänzten Wege des Walds
Sank die Wildnis
Vergessener Jagden; Blick der Bläue
10
Aus verfallenen Felsen
bricht.
Gesang des Abgeschiedenen
An Karl Borromaeus Heinrich
Voll Harmonien ist der Flug der Vögel. Es haben die grünen Wälder
Am Abend sich zu stilleren Hütten versammelt;
Die kristallenen Weiden des Rehs.
Dunkles besänftigt das Plätschern des Bachs, die feuchten Schatten
5
Und die Blumen des Sommers, die schön im
Winde läuten.
Schon dämmert die Stirne dem sinnenden Menschen.
Und es leuchtet ein Lämpchen, das Gute, in seinem Herzen
Und der Frieden des Mahls; denn geheiligt ist Brot und Wein
Von Gottes Händen, und es schaut aus nächtigen Augen
10
Stille dich der Bruder an,
daß er ruhe von dorniger Wanderschaft.
O das Wohnen in der beseelten Bläue der Nacht.
Liebend auch umfängt das Schweigen im Zimmer die Schatten der Alten,
Die purpurnen Martern, Klage eines großen Geschlechts,
Das fromm nun hingeht im einsamen Enkel.
15
Denn strahlender immer
erwacht aus schwarzen Minuten des Wahnsinns
Der Duldende an versteinerter Schwelle
Und es umfängt ihn gewaltig die kühle Bläue und die leuchtende Neige des
Herbstes,
Das stille Haus und die Sagen des Waldes,
Maß und Gesetz und die mondenen Pfade der Abgeschiedenen.
T r a u m u n d U m n a c h t u n g
Am Abend ward zum Greis der Vater; in dunklen Zimmern versteinerte das
Antlitz der Mutter und auf dem Knaben lastete der Fluch des entarteten
Geschlechts. Manchmal erinnerte er sich seiner Kindheit, erfüllt von
Krankheit, Schrecken und Finsternis, verschwiegener Spiele im
Sternengarten, oder daß er die Ratten fütterte im dämmernden Hof. Aus
blauem Spiegel trat die schmale Gestalt der Schwester und er stürzte wie
tot ins Dunkel. Nachts brach sein Mund gleich einer roten Frucht auf und
die Sterne erglänzten über seiner sprachlosen Trauer. Seine Träume
erfüllten das alte Haus der Väter. Am Abend ging er gerne über den
verfallenen Friedhof, oder er besah in dämmernder Totenkammer die Leichen,
die grünen Flecken der Verwesung auf ihren schönen Händen. An der Pforte
des Klosters bat er um ein Stück Brot; der Schatten eines Rappen sprang
aus dem Dunkel und erschreckte ihn. Wenn er in seinem kühlen Bette lag,
überkamen ihn unsägliche Tränen. Aber es war niemand, der die Hand auf
seine Stirne gelegt hätte. Wenn der Herbst kam, ging er, ein Hellseher, in
brauner Au. O, die Stunden wilder Verzückung, die Abende am grünen Fluß,
die Jagden. O, die Seele, die leise das Lied des vergilbten Rohrs sang;
feurige Frömmigkeit. Stille sah er und lang in die Sternenaugen der Kröte,
befühlte mit erschauernden Händen die Kühle des alten Steins und besprach
die ehrwürdige Sage des blauen Quells. O, die silbernen Fische und die
Früchte, die von verkrüppelten Bäumen fielen. Die Akkorde seiner Schritte
erfüllten ihn mit Stolz und Menschenverachtung. Am Heimweg traf er ein
unbewohntes Schloß. Verfallene Götter standen im Garten, hintrauernd am
Abend. Ihm aber schien: hier lebte ich vergessene Jahre. Ein Orgelchoral
erfüllte ihn mit Gottes Schauern. Aber in dunkler Höhle verbrachte er
seine Tage, log und stahl und verbarg sich, ein flammender Wolf, vor dem
weißen Antlitz der Mutter. O, die Stunde, da er mit steinernem Munde im
Sternengarten hinsank, der Schatten des Mörders über ihn kam. Mit
purpurner Stirne ging er ins Moor und Gottes Zorn züchtigte seine
metallenen Schultern; o, die Birken im Sturm, das dunkle Getier, das seine
umnachteten Pfade mied. Haß verbrannte sein Herz, Wollust, da er im
grünenden Sommergarten dem schweigenden Kind Gewalt tat, in dem
strahlenden sein umnachtetes Antlitz erkannte. Weh, des Abends am Fenster,
da aus purpurnen Blumen, ein gräulich Gerippe, der Tod trat. O, ihr Türme
und Glocken; und die Schatten der Nacht fielen steinern auf ihn.
Niemand liebte ihn. Sein Haupt verbrannte Lüge und Unzucht in
dämmernden Zimmern. Das blaue Rauschen eines Frauengewandes ließ ihn zur
Säule erstarren und in der Tür stand die nächtige Gestalt seiner Mutter.
Zu seinen Häupten erhob sich der Schatten des Bösen. O, ihr Nächte und
Sterne. Am Abend ging er mit dem Krüppel am Berge hin; auf eisigem Gipfel
lag der rosige Glanz der Abendröte und sein Herz läutete leise in der
Dämmerung. Schwer sanken die stürmischen Tannen über sie und der rote
Jäger trat aus dem Wald. Da es Nacht ward, zerbrach kristallen sein Herz
und die Finsternis schlug seine Stirne. Unter kahlen Eichbäumen erwürgte
er mit eisigen Händen eine wilde Katze. Klagend zur Rechten erschien die
weiße Gestalt eines Engels, und es wuchs im Dunkel der Schatten des
Krüppels. Er aber hob einen Stein und warf ihn nach jenem, daß er heulend
floh, und seufzend verging im Schatten des Baums das sanfte Antlitz des
Engels. Lange lag er auf steinigem Acker und sah staunend das goldene Zelt
der Sterne. Von Fledermäusen gejagt, stürzte er fort ins Dunkel. Atemlos
trat er ins verfallene Haus. Im Hof trank er, ein wildes Tier, von den
blauen Wassern desBrunnens, bis ihn fror. Fiebernd saß er auf der eisigen
Stiege, rasend gen Gott, daß er stürbe. O, das graue Antlitz des
Schreckens, da er die runden Augen über einer Taube zerschnittener Kehle
aufhob. Huschend über fremde Stiegen begegnete er einem Judenmädchen und
er griff nach ihrem schwarzen Haar und er nahm ihren Mund. Feindliches
folgte ihm durch finstere Gassen und sein Ohr zerriß ein eisernes Klirren.
An herbstlichen Mauern folgte er, ein Mesnerknabe, stille dem schweigenden
Priester; unter verdorrten Bäumen atmete er trunken den Scharlach jenes
ehrwürdigen Gewands. O, die verfallene Scheibe der Sonne. Süße Martern
verzehrten sein Fleisch. In einem verödeten Durchhaus erschien ihm
starrend von Unrat seine blutende Gestalt. Tiefer liebte er die erhabenen
Werke des Steins; den Turm, der mit höllischen Fratzen nächtlich den
blauen Sternenhimmel stürmt; das kühle Grab, darin des Menschen feuriges
Herz bewahrt ist. Weh, der unsäglichen Schuld, die jenes kundtut. Aber da
er Glühendes sinnend den herbstlichen Fluß hinabging unter kahlen Bäumen
hin, erschien in härenem Mantel ihm, ein flammender Dämon, die Schwester.
Beim Erwachen erloschen zu ihren Häuptern die Sterne.
O des verfluchten Geschlechts. Wenn in befleckten Zimmern jegliches
Schicksal vollendet ist, tritt mit modernden Schritten der Tod in das
Haus. O, daß draußen Frühling wäre und im blühenden Baum ein lieblicher
Vogel singe. Aber gräulich verdorrt das spärliche Grün an den Fenstern der
Nächtlichen und es sinnen die blutenden Herzen noch Böses. O, die
dämmernden Frühlingswege des Sinnenden. Gerechter erfreut ihn die blühende
Hecke, die junge Saat des Landmanns und der singende Vogel, Gottes sanftes
Geschöpf; die Abendglocke und die schöne Gemeine der Menschen. Daß er
seines Schicksals vergäße und des dornigen Stachels. Frei ergrünt der
Bach, wo silbern wandelt sein Fuß, und ein sagender Baum rauscht über dem
umnachteten Haupt ihm. Also hebt er mit schmächtiger Hand die Schlange,
und in feurigen Tränen schmolz ihm das Herz hin. Erhaben ist das Schweigen
des Walds, ergrüntes Dunkel und das moosige Getier, aufflatternd, wenn es
Nacht wird. O der Schauer, da jegliches seine Schuld weiß, dornige Pfade
geht. Also fand er im Dornenbusch die weiße Gestalt des Kindes, blutend
nach dem Mantel seines Bräutigams. Er aber stand vergraben in sein
stählernes Haar stumm und leidend vor ihr. O die strahlenden Engel, die
der purpurne Nachtwind zerstreute. Nachtlang wohnte er in kristallener
Höhle und der Aussatz wuchs silbern auf seiner Stirne. Ein Schatten ging
er den Saumpfad hinab unter herbstlichen Sternen. Schnee fiel, und blaue
Finsternis erfüllte das Haus. Eines Blinden klang die harte Stimme des
Vaters und beschwor das Grauen. Weh der gebeugten Erscheinung der Frauen.
Unter erstarrten Händen verfielen Frucht und Gerät dem entsetzten
Geschlecht. Ein Wolf zerriß das Erstgeborene und die Schwestern flohen in
dunkle Gärten zu knöchernen Greisen. Ein umnachteter Seher sang jener an
verfallenen Mauern und seine Stimme verschlang Gottes Wind. O die Wollust
des Todes. O ihr Kinder eines dunklen Geschlechts. Silbern schimmern die
bösen Blumen des Bluts an jenes Schläfe, der kalte Mond in seinen
zerbrochenen Augen. O, der Nächtlichen; o, der Verfluchten.
Tief ist der Schlummer in dunklen Giften, erfüllt von Sternen und dem
weißen Antlitz der Mutter, dem steinernen. Bitter ist der Tod, die Kost
der Schuldbeladenen; in dem braunen Geäst des Stamms zerfielen grinsend
die irdenen Gesichter. Aber leise sang jener im grünen Schatten des
Hollunders, da er aus bösen Träumen erwachte; süßer Gespiele nahte ihm ein
rosiger Engel, daß er, ein sanftes Wild, zur Nacht hinschlummerte; und er
sah das Sternenantlitz der Reinheit. Golden sanken die Sonnenblumen über
den Zaun des Gartens, da es Sommer ward. O, der Fleiß der Bienen und das
grüne Laub des Nußbaums; die vorüberziehenden Gewitter. Silbern blühte der
Mohn auch, trug in grüner Kapsel unsere nächtigen Sternenträume. O, wie
stille war das Haus, als der Vater ins Dunkel hinging. Purpurn reifte die
Frucht am Baum und der Gärtner rührte die harten Hände; o die härenen
Zeichen in strahlender Sonne. Aber stille trat am Abend der Schatten des
Toten in den trauernden Kreis der Seinen und es klang kristallen sein
Schritt über die grünende Wiese vorm Wald. Schweigende versammelten sich
jene am Tisch; Sterbende brachen sie mit wächsernen Händen das Brot, das
blutende. Weh der steinernen Augen der Schwester, da beim Mahle ihr
Wahnsinn auf die nächtige Stirne des Bruders trat, der Mutter unter
leidenden Händen das Brot zu Stein ward. O der Verwesten, da sie mit
silbernen Zungen die Hölle schwiegen. Also erloschen die Lampen im kühlen
Gemach und aus purpurnen Masken sahen schweigend sich die leidenden
Menschen an. Die Nacht lang rauschte ein Regen und erquickte die Flur. In
dorniger Wildnis folgte der Dunkle den vergilbten Pfaden im Korn, dem Lied
der Lerche und der sanften Stille des grünen Gezweigs, daß er Frieden
fände. O, ihr Dörfer und moosigen Stufen, glühender Anblick. Aber beinern
schwanken die Schritte über schlafende Schlangen am Waldsaum und das Ohr
folgt immer dem rasenden Schrei des Geiers. Steinige Öde fand er am Abend,
Geleite eines Toten in das dunkle Haus des Vaters. Purpurne Wolke umwölkte
sein Haupt, daß er schweigend über sein eigenes Blut und Bildnis herfiel,
ein mondenes Antlitz, steinern ins Leere hinsank, da in zerbrochenem
Spiegel, ein sterbender Jüngling, die Schwester erschien, die Nacht das
verfluchte Geschlecht verschlang. |